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Das Leistungsschutzrecht und der Weltuntergang

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Ich habe mich bis jetzt in meinem Blog noch nie zum Leistungsschutzrecht geäußert. Nicht weil ich dieses Thema ignoriert hätte. Als Blogger gehöre ich ja zu den Leuten, die von diesem Gesetz unter Umständen betroffen sind. Ich habe die ganze Geschichte schon seit längerer Zeit verfolgt. Aber ich dachte mir immer: “Ach, das wird doch nie etwas. Dieses Gesetz ist so offensichtlich so enorm absurd, das wird sowieso nie beschlossen werden.” Tja. Da war ich wohl etwas naiv.

Aber mal ernsthaft: Dieses Gesetz ist absurd! Ursprünglich ging es dabei ja mal um Google und Suchmaschinen. Wenn ich etwas suche, dann brauche ich eine Suchmaschine. Die Zeiten, wo man bei einem Thema noch einen halbwegs brauchbaren Überblick über die existierenden Homepages haben konnte, sind lange vorbei. Und eine Suchmaschine muss bei den Ergebnissen natürlich auch eine kurze Beschreibung dessen liefern, was sie gefunden hat. Man stelle sich vor, der Google-Output nach einer Suche würde lauten: “Wir haben 137 Ergebnisse gefunden: Ergebnis 1, Ergebnis 2, Ergebnis 3, Ergebnis 4, …”. Soll man dann alle 137 Links durchklicken, um zu sehen, was Google gefunden hat? Natürlich nicht, eine Suchmaschine macht eben nur dann Sinn, wenn die Ergebnisse auch beschrieben werden. Aber das ist ja nichts Neues. Der Computer, der z.B. in der Stadtbücherei Jena steht, macht genau das gleiche. Wenn ich da nach Büchern (oder Zeitungsartikeln) suche, dann kriege ich nicht nur ein “Ja, dazu haben wir ein Buch!” als Ergebnis, sondern auch Details und eine Beschreibung. So funktioniert auch ein Buchladen: Da steht im Schaufenster ja auch nicht einfach nur “Wir haben 1429 Bücher im Laden!”. Sondern da hängen Poster mit kurzen Anreißertexten der neuesten Bücher. Auf den Büchern selbst stehen Zitate und kurze Sätze um den Leuten zu zeigen, was man darin lesen kann. Usw. Das ist alles völlig normal.

Jetzt aber zu behaupten, eine Suchmaschine wie Google würde das Urheberrecht der Zeitungen verletzten, weil man bei der Auflistung der Ergebnisse eine oder zwei Sätze des jeweiligen Texts als Beschreibung hinzufügt, ist absurd (Selbst ganz normale Links, in deren URL zum Beispiel Teile der Artikelüberschrift vorkommen, sollten laut der ersten Entwürfe unter diese “Urheberrechtsverletzung” fallen). Es ist absurd, weil genau das die Art und Weise ist, wie Suchmaschinen funktionieren. Es ist absurd, weil genau das der Weg ist, wie Menschen überhaupt auf die Idee kommen, die Seiten der jeweiligen Zeitung zu lesen. Und es ist absurd, weil die Zeitungen das ja selbst ganz einfach abstellen könnten, wenn sie wollten (man kann bei der Programmierung seiner Internetseiten angeben, was bei Google auftauchen soll und was nicht). Klar, Google verdient Geld damit, dass es Suchergebnisse auflistet. Aber die Leistung die Google erbringt ist die Suche. Ein Taxifahrer verdient auch Geld damit, dass er Menschen an bestimmte Orte bringt. Aber es käme niemand auf die Idee, ein Taxiunternehmen müsse Geld an die Restaurants oder Theater zahlen, zu denen es Menschen bringt. Die Verlage, die sich fürs Leistungsrecht einsetzen, sagen im Wesentlichen: “Der Taxifahrer verdient Geld, weil die Menschen ins Restaurant gehen wollen und er sie dort hin fahren kann. Er profitiert von der Leistung des Restaurants, denn wenn dort nicht gut gekocht werden würde, würden die Leute dort nicht hin wollen. Der Profit aus dieser Leistung muss aber geschützt werden und deswegen muss der Taxifahrer dem Restaurant Geld zahlen, wenn er weiter Menschen dort hin fahren will.”

Ich sag ja, die Sache ist absurd. Der Gedankengang der Presseverlage scheint ungefähr so gelautet zu haben: “Hey! Da verdient jemand im Internet viel Geld! Und wir verdienen wenig Geld! Das darf nicht sein, da muss es ein Gesetz dagegen geben!!”. Noch viel absurder als diese Grundlage des Leistungsrecht ist aber die Tatsache, dass es nun tatsächlich beschlossen wurde. Es sind ja viele Vorurteile über Politiker im Umlauf, aber das sie so dumm sind, um die Absurdität dieses Gesetzes nicht zu sehen, überrascht mich. Aber vielleicht habe ich die Politiker wirklich überschätzt. In einem recht guten Beitrag über das Leistungsschutzrecht in der der 3sat-Sendung Kulturzeit (vom 03.03.2013) sagt Mario Sixtus dazu ein paar kluge Sätze:

“Unabhängig von der Parteizugehörigkeit, die größte Mehrheit im Bundestag bilden ja die Internet-Dooffinder (…) Die lassen sich natürlich von Papierbedruckern auch dazu verleiten, ein bizzares Gesetzungetüm zu verfassen.”

Ich bin fast geneigt, das zu glauben. Wahrscheinlich haben die Leute im Parlament tatsächlich keine Ahnung, was für einen absurden Quatsch sie da beschlossen haben.

Es wird aber noch absurder. Denn das “bedingungslose Grundeinkommen” für die Presse (wieder ein Zitat von Mario Sixtus), das von Google bezahlt werden soll, existiert im nun beschlossenen Gesetz gar nicht mehr (hier ein kurzer Überblick”). Denn kurz vor Beschluss wurde ein kleiner Halbsatz eingefügt und die relevante Passage lautet nun:

“Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.”

Neu ist der Teil ab “es sei denn, …” und der bestätigt nun, dass Google genau so weiter machen kann, wie bisher (Was die Verlage natürlich nicht glauben wollen). Das ganze Gesetz ist also sinnlos; der Zweck, aus dem die Verlage es sich gewünscht haben, wird nun nicht mehr erfüllt. Wer davon nun eigentlich betroffen ist, weiß niemand. Der parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, nannte das Leistungsschutz daher auch ein “Arbeitsbeschaffungsprogram für Rechtsanwälte”.

Das Gesetz schützt nichts, was nicht sowieso bis jetzt auch schon durch andere Gesetze geschützt wird. Es gibt ein Urheberrecht, das klärt, wem welche Inhalte gehören, was andere damit anstellen dürfen, was zulässige Zitate sind und was nicht und so weiter. Das einzige, was das neue Leistungsschutzrecht schafft, ist Unsicherheit. Über die einzelnen Worte in diesem Gesetz werden sich in den nächsten Jahre jede Menge Rechtsanwälte streiten. Ist ein Text aus einem privaten Blog, das eine Werbeanzeige veröffentlicht oder einen Flattr-Button benutzt und so ein paar Cent einnimmt, schon ein gewerbliche Nutzung? Wie klein sind “kleinste Textausschnitte”? Wie groß ist der Unterschied zwischen “klein” und “kleinst”? Ist es ok, einen Satz zu zitieren? Sind zwei ok? Auch drei noch?? Über all das werden sich Gerichte streiten und die Abmahnanwälte werden schon die Formbriefe aufsetzen… Leider gibt es ja in Deutschland jede Menge Anwälte, deren Geschäftsmodell darin besteht, genau solche unklaren Formulierungen auszunutzen, und mit den entsprechenden Abmahnungen Geld zu verdienen. Ein Blogger ist kein Verlag mit Rechtsabteilung und großem Budget und kann sich einen Rechtsstreit meist nicht leisten. Betroffen sind aber nicht nur Blogger, sonder auch die, deren Arbeit ja angeblich mit dem Gesetz geschützt werden soll: die Journalisten.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses vollkommen absurde Gesetz bald wieder korrigiert wird. Der Bundesrat könnte es noch ablehnen und eine Überarbeitung erzwingen. Ich werde daraus aber fürs Erste trotzdem meine eigenen Konsequenzen ziehen. Ich werde nicht mehr auf die Artikel in deutschen Zeitungen verlinken und sie nicht mehr zitieren. Einerseits, um ein Zeichen zu setzen (auch wenn das die Presseverlage wohl ziemlich wenig kratzen wird, ob ich sie verlinke oder nicht). Andererseits auch, weil ich keine Lust habe, irgendwann einmal einen absurden Rechtsstreit führen zu müssen. Ich bin ja kein Medienblog sondern schreibe hauptsächlich über Wissenschaft. Aber ich habe doch immer wieder Mal auf interessante Artikel in der Presse hingewiesen bzw. sie als Quelle und weiterführende Informationen verlinkt. Das werde ich nun nicht mehr tun. Das ist schade, denn es gibt ja durchaus viele gute Artikel, denen man viele Leser wünschen möchte (zum Beispiel einen Artikel von Till Kreutzer von der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht, denn ich aber trotzdem nicht verlinken werde).

Die ganze Geschichte um das Leistungsschutzrecht hat mich an ein Buch erinnert, das ich kürzlich gelesen habe. Darin geht es ebenfalls um absurde Urheberrechtsgesetze – und darüber, wie sie zum Weltuntergang führen… Das Buch heißt “Year Zero” (auf deutsch: Galaxy Tunes®) und wurde von Rob Reid geschrieben. Die Ausgangslage ist herrlich absurd: Das Universum ist voll mit Aliens. Und sie sind in allem besser als wir Menschen. Nur nicht, was die Musik angeht. Hier sind die Menschen die besten Musiker des ganzen Universums. Sie wissen aber nichts davon, weil die Aliens bis jetzt keinen Kontakt zur Erde aufgenommen haben. In der ersten Euphorie über die fantastische Musik haben sie aber unbemerkt durch die Menschen sämtliche Songs auf der Welt kopiert und überall in der Galaxis verteilt. Leider gibt es bei den Aliens aber ein enorm wichtiges Gesetz, eine Art “erste Direktive”, die besagt: Die lokalen Gesetze der jeweiligen Planeten sind immer unbedingt zu befolgen! Und auf der Erde existieren nun mal eben leider jede Menge absurde Urheberrechtsgesetze…

Da gibt es (nicht nur im Buch, auch in der Realität) zum Beispiel den “Digital Theft Deterrence and Copyright Damages Improvement Act” der bei der unrechtmäßigen Kopie eines Lieds eine Höchststrafe bis zu 150.000 Dollar pro Stück (!) erlaubt. Und wenn nun jeder der Billiarden Aliens auf seinem Alien-iPod all die Millionen an Lieder der Erde mit sich herumträgt, dann kommt da schon eines an Strafgebühren zusammen. So viel, dass die gesamte Galaxis pleite gehen würde. Wenn allerdings der Erde nun “zufällig” etwas zustoßen und der ganze Planet zerstört werden würde – Tja, dann hätte sich das Problem von selbst gelöst!

Die Geschichte klingt absurd, ist es auch – aber auf eine sehr sympathische Art und Weise. Sie erinnert vom Stil und vom Humor her sehr an “Per Anhalter durch die Galaxis” von Douglas Adams. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass “Year Zero” so ist, wie der Anhalter eigentlich sein sollte. Denn trotz aller Absurdität hat “Year Zero” eine halbwegs konsistente und logische Handlung; etwas was mir bei Douglas Adams immer ein wenig gefehlt hat.

Hier ist ein schöner TED-Talk, in dem Rob Reid zwar nicht über sein Buch, aber über die ebenso absurde “Copyright-Mathematik” spricht:

Man kann sich mit “Year Zero” hervorragend amüsieren. Aber wenn man sich dann überlegt, dass die Urheberrechtsgesetze, auf denen die Handlung basiert, leider auch in der Realität existieren, dann wird die ganze Sache nicht mehr ganz so lustig. Dabei darf man mich nicht falsch verstehen. Ich verdiene selbst mein Geld damit, ein “Urheber” zu sein. Ich bin kein Freund der vollkommenen Freiheit, die da von vielen in Sachen Urheberrecht oft gefordert wird (ich hab hier mal etwas dazu geschrieben). Die Leistung der Urheber muss geschützt werden, sonst können sich die Urheber es nicht mehr leisten, neue Bücher, Texte, Lieder, usw zu schaffen. Aber man kann alles übertreiben…

Das Leistungsschutzrecht wird zwar (hoffentlich!) nicht dazu führen, dass Aliens die Erde zerstören. Aber wenn sich die Presseverlage nicht langsam mal überlegen, wie man mit der digitalen Realität des Internets vernünftig und abseits absurder Gesetze und Klagen umgehen kann, dann wird das nicht gut gehen. Entweder wird die Presse selbst darunter zu leiden haben – oder das freie Internet. Und ich sehe eigentlich keinen Grund, warum das so sein muss. Es sollte doch möglich sein, dass Presseverlage auch im 21. Jahrhundert existieren können, ohne das sie glauben, alles in Grund und Boden klagen zu müssen. Aber dazu muss man das 21. Jahrhundert halt auch akzeptieren und verstehen. Ich hoffe, dass irgendwo da draußen doch noch ein paar vernünftige Politiker und Pressemenschen sind, auf die das zu trifft.

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